Foto: Andrea Mühleck
Christina, wir haben von dir als sportliche und abenteuerlustige Frau in den Medien gelesen und würden dich gerne näher kennenlernen: Welches Abenteuer steht als nächstes bei dir an, hast du konkrete sportliche oder Reise-Pläne?
Vor eineinhalb Jahren habe ich mit meinem Mann zusammen ein Sabbatical in Kapstadt, Südafrika, gemacht und dort die Liebe zum Surfen entdeckt. Im Sommer steht ein Surfurlaub in Europa an um sicherer auf dem Brett stehen zu können. In wenigen Wochen verbringen wir den nächsten Urlaub im Tessin, Schweiz, um klettern zu gehen.
Das klingt sehr abwechslungsreich und aktiv. Da muss die Prothese schon gut sitzen.
Wir arbeiten in einem interdisziplinären Team zu Prothesen-Entwicklung und daher würde uns auch deine Geschichte dazu interessieren: Du hast damals dein Bein bei einem Unfall in Australien verloren. Wie lief die Prothesenversorgung nach deinen Operationen ab?
Die Prothesenversorgung fand nach dem Rücktransport in Bayern statt. Ich hatte sehr viel Physiotherapie, das kleine Bein, wie ich es selbst nenne, wurde gewickelt, dann wurde der richtige Liner verwendet. Nach dem 1. Gipsabdruck und Interrimsprothese lernte ich die ersten Schritte in der Gehschule an Barren. Die darauffolgenden Monate wurde der Schaft engmaschig auf das kleine Bein angepasst bis ich dann meine erste eigene Prothese bekommen habe, was für mich wie der heilige Gral war.
Das kann ich mir vorstellen, dass man dann sehnsüchtig auf die stückweise zurückerlangte Mobilität wartet. Was würdest du frisch amputierten Patient:innen empfehlen? Was sind die ersten „Schritte“ auf dem Weg zur neuen Mobilität?
Bevor ich dem Patient:innen etwas empfehlen würde, höre ich ihm erst einmal zu und schenke ihm/ihr den Raum seine Geschichte zu erzählen. Jeder Mensch ist anders und erlebt eine Amputation ganz individuell. Als Heilpraktikerin empfehle ich eine ganzheitliche Behandlung und Versorgung, wo Körper, Seele und Geist nicht getrennt von einander betrachtet werden soll. Bei mir war das Mentale das Entscheidende und die Neugierde, was man mit einer Prothese alles machen kann. Der Glaube an einem selbst und die Unterstützung von der gesamten Umgebung, von Therapeut:innen, Familie und Freunden spielen eine sehr große Rolle für mich. Mein Mantra war, dass ich nicht von vornherein sagen kann, ob etwas möglich ist oder nicht, wenn ich es nicht selbst ausprobiert habe und dass es für alles, was man von Herzen erreichen möchte, Wege gibt es umzusetzen. In meinem Buch „Wer Flügel hat, braucht keine Beine“ gehe ich intensiver auf dieses Thema ein.
Dort ist auch zu lesen, dass du bist sehr sportlich bist: Wie leicht war es da die richtige prothetische Versorgung zu bekommen um wieder alle Bewegungsabläufe ausführen zu können, die man für sportliche Hobbys braucht?
Durch meinen sehr kompetenten Orthopädietechniker, der immer auf dem neusten Stand ist, aufgrund der Unfallklinik, wo sich die Werkstatt befindet, war es sehr leicht, die passende Prothese für die jeweiligen Sportarten zu testen. Schwieriger war die Hürde, diese von der Krankenversicherung bezahlt zu bekommen.
Wir möchten mit dem Projekt „PROTEA“ dazu beitragen, dass es eine bedürfnisoptimierte Versorgung mit Prothesen (zunächst arbeiten wir an Unterschenkelprothesen) gibt: Welche Erfahrungen hast du mit der Orthopädietechnik gemacht, wie wurden deine Bedürfnisse berücksichtigt? (Erklärung: Also wir haben ja schon den Sport erwähnt, darüber hinaus können sich weitere Bedürfnisse ergeben, z.B. im beruflichen Kontext oder im Bereich Familie/Haushalt oder z.B. sich modisch kleiden zu wollen etc.)
Der/Die Orthopädietechniker:in spielt für mich mit der Prothesenversorgung die größte Rolle. Ich muss ihm/ihr vertrauen können, denn meine Lebensqualität liegt im wahrsten Sinne des Wortes in seinen/ihren Händen. Mein Orthopodädietechniker nimmt sich immer sehr viel Zeit für mich um genaue Fragen zu allen Themen zu stellen. Zum Beispiel war es mir sehr wichtig, im Alltag aus dem Stand heraus losrennen zu können, um die S-Bahn noch zu erreichen. Durch seine Fachkompetenz sind ihm einige Prothesen in den Sinn gekommen, die wir dann alle getestet haben. Daraufhin haben wir dann gemeinsam besprochen, für welche ich mich dann entscheide. Da ich mittlerweile auch Bein zeige, spielt die optische Prothese auch eine Rolle für mich, worüber mich der Orthopädietechniker ausführlich informiert hat.
Wo glaubst du gibt es bei Prothesen oder in der Kommunikation rund um die Prothesenanpassung Verbesserungspotenzial?
Damals vor 15 Jahren hatte ich das Gefühl, dass es noch nicht so viel Angebot an Prothesen für bestimmte Sportarten gab. Zum Beispiel gab es keine funktionell hochwertige Prothese, die gleichzeitig auch wasserfest ist. Heute sieht die Technik ganz anders aus und es gibt, auch von der Kosmetik her, vielseitigere Prothesen für alle Aktivitäten. Ich selbst habe immer sehr gute Erfahrungen mit meinem Orthopädietechniker gemacht, aber ich habe schon von vielen anderen gehört, dass sie mit ihrer Prothese nicht zufrieden sind. Grund hierfür war, dass der Orthopädietechniker entweder technisch nicht auf dem neuesten Stand war (und somit nicht das Passende anbieten konnte) oder zu wenig vom Handwerk wie z. B. Schaftbau beherrschte und es dadurch zu Immobilität, Druckstellen und Phantomschmerzen kam.
Als Prothesenträgerin mit sportlichen Ambitionen muss Frau sich vermutlich schon ihren Weg bahnen. Wie hast du das erlebt? Was waren die größten Hürden? Wer oder was hat dir geholfen?
Manche Sportarten waren einfacher zu erreichen, andere waren für mich herausfordernder. Zum Beispiel war ich mit meiner Skiprothese nicht zufrieden und lernte dann durch einen anderen, unterschenkelamputierten Freund das Skifahren auf einem Bein und mit Skikrücken. Seitdem fahre ich Ski auf einem Bein. Die größte Hürde war meine eigene Angst zu überwinden um festzustellen, dass die einzigen Grenzen, die wir uns setzen, die eigenen sind. Wenn wir es schaffen diese zu überwinden, werden wir feststellen, dass es zu jedem Problem eine Lösung gibt und sich immer Wege finden, Dinge, für die das Herz brennt, umzusetzen.
Wir arbeiten mit verschiedenen Projektpartner:innen zusammen um das Beste aus Technikentwicklung, partizipativer Forschung und dem Wissen der Expert:innen (auch in eigener Sache) umzusetzen. Was kannst du uns hier empfehlen? Welche Punkte erscheinen dir wichtig?
Ich finde, dass die Technik sehr schnell voranschreitet und die Vielseitigkeit des Prothesenangebotes steigt. Hier habe ich nichts auszusetzen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es ein Gesundheitssystem, das individuell auf den einzelnen Prothesenträger eingeht und auch die dementsprechende, individuelle Prothese kostendeckend organisiert wird. Es ist schade, wenn der Mensch nicht von Wissen und Technik profitieren kann, weil es das Gesundheitssystem nicht bezahlt.
Danke für deine Offenheit, Christina!